Post für Jupp Heynckes
Sehr geehrter Jupp Heynckes,
wie schlafen Sie zurzeit? Ich könnte mir vorstellen, dass Sie Ihr ganzes Leben noch nicht so gut geschlafen haben. Sie haben so ziemlich alles gewonnen, von was Sie vielleicht als Kind geträumt haben. Jeden bedeutenden Pokal auf diesem Fußballplaneten haben Sie gestreichelt und geküsst und mit Schampus gefüllt.
Jupp Heynckes: Dieser Name bedeutete mal Osram, hochrote Birne, ein Mann des Fußballs, aber keiner der Öffentlichkeit. Wirklich geliebt wurden Sie nicht. Vielleicht bewundert, verehrt, respektiert: für Ihre Erfolge. Aber was gerade mit Ihnen da draußen passiert, ist mehr als das, was Sie bisher in Ihrer 50-jährigen Fußballkarriere als Mensch miterlebt haben.
Sie sind nicht mehr der Fußballexperte, einer der besten seiner Generation, Erfolgsgarant, der Mann mit den unzähligen Titeln. Sie werden nicht mehr auf Ihre Din-A4 große Visitenkarte reduziert. Wir haben Jupp Heynckes kennengelernt. Vielleicht haben Sie sich selbst neu erfunden. Oder ist das einfach der Lauf der Zeit?

Das verlorene Finale Dahoam: Können Sie es vergessen machen? Foto: rayand / flickr.com
Sie sind Vaterfigur für diese Bayern-Mannschaft geworden, die seltsam orientierungslos auf hohem Niveau durch die Fußballwelt wandelte. Jederzeit eine der besten Mannschaften der Welt, aber ihrer Identität beraubt. Niederlage im Finale Dahoam, Scheitern bei der EM gegen minder talentierte Italiener. Gefallene Helden. Tragische Figuren. Schweinsteiger, Lahm: eine Generation von hochtalentierten Verlierern? Der Ruf nach Führungsspielern kam auf, nach Hierarchien und Strukturen, nach den Effenbergs. Pure Verzweiflung.
Sie hatten mit Altlasten zu kämpfen. Klinsmann brachte Buddhas zur Erleuchtung mit. Jeden Tag besser werden. Das funktioniert kurzfristig, wie bei der WM 2006 zur Begeisterung der ganzen Republik bewiesen. Aber eine Fußballmannschaft langfristig erfolgreich zu trainieren erfordert mehr als moderne Trainingsmethoden aus Übersee und Motivationslehre. Man muss die natürlichen Stärken eines jeden Spielers zu Tage fördern. Dazu muss man nicht nur den Spieler, sondern auch den Menschen verstehen. Dann kam Louis van Gaal und hämmerte der Mannschaft wie im Matheunterricht am Rechenschieber eine Spielidee ein, die am Ende nicht mehr beflügelnde Philosophie, sondern nur noch Ballast und Gefängnis für Kreativgeister wie Ribery war.
Sie brachten den Schlüssel Menschenkenntnis mit nach München und befreiten damit Ribery. Heute spielt der Franzose hochdiszipliniert — weil Sie ihn davon überzeugt haben, dass man nur so erfolgreich sein kann — aber immer noch mit diesem Hauch von Straßenfußball, der ihn so besonders und unberechenbar macht.

Sie behielten Recht: Javi Martinez, spanischer Nationalspieler, drückte den Bayern seinen Stempel auf. Foto: henrikalexandersen / flickr.com
Die Bayern sagen heute wieder mit stolz geschwellter Brust: „Mia san mia.“ Sie behaupten, ein besonderer Verein zu sein, der Verein mit dem Festgeldkonto und der Portokasse. Aber auch ein Traditionsverein. Doch das haben sie auch schon letztes Jahr behauptet, als das Finale Dahoam nicht zum furiosen Finale, sondern zum tragischen Finale wurde.
Das Verrückte ist: Die Bayern haben die Champions League 2013 noch lange nicht gewonnen. Da gibt es noch diese 90 Minuten plus X gegen die Mannschaft von Borussia Dortmund, die den Bayern die letzten Jahre vorgemacht hat, was es heißt, mit Persönlichkeit Fußball zu spielen, eine eigene Identität zu entwickeln und über sich hinauszuwachsen. Es wird ein verdammt harter Ritt in Wembley. Und vielleicht Ihr letzter. Wird ein weiterer Stern auf Ihre Visitenkarte gedruckt werden?
Was auch immer kommen mag – Champions-League-Sieg 2013 oder nicht, Rente oder Real Madrid: Für die Menschen in Deutschland sind Sie mittlerweile mehr als ein Jahrhundertspieler und Jahrhunderttrainer. Sie sind ein Mensch und Vorbild geworden.
Für das Leben braucht man einen langen Atem. Mit Ihrem Atem hätten Sie auch Tiefseetaucher werden können, Herr Heynckes. Es wäre traurig, wenn Sie nach dieser Saison in die Rente abtauchen und von der Bildfläche verschwinden, aber gönnen würden es Ihnen alle Fußballfans. Sie haben es sich schon lange verdient.
Mit sportlichen Grüßen,
Marc Andruszko