Oliver Kahn — Die Entdeckung der WM2014
Seit nunmehr sechs langen Jahren begegnet uns Oliver Kahn nicht mehr als Spieler auf dem Platz, sondern als Experte im TV. Die Weltmeisterschaft in Brasilien ist nun seit drittes großes Turnier nach der WM 2010 und der EURO 2012, welches er für das ZDF betreut. Zuerst versuchte sich an seiner Seite Johannes B. Kerner, welcher später von der beim Zuschauer stets geliebten und hochgeschätzten Kathrin Müller-Hohenstein abgelöst wurde. Von dieser Zusammenarbeit bleibt insbesondere die äußerst ansprechende Berichterstattung vom Basislager und Feierdomizil Usedom in Erinnerung.
Neuorientierung auf ungewohntem Terrain
Zweifellos musste sich Kahn in seiner neuen Rolle erst einmal zurecht finden. Der Wechsel vom brodelnden Vulkan als Spieler, zum sachlichen, aber unterhaltsamen TV-Experten war kein leichter. Wo er früher dumme Fragen mit ironischem Lächeln abtun konnte oder wieder einen seiner legendären Sprüche bemühte, musste Kahn sich jetzt seriös und geduldig jedem noch so unnötigen Detail hingeben. Harte Kritik und starker Gegenwind: zwei Faktoren, mit denen der ehemalige Titan von Anbeginn seines Expertendaseins zu kämpfen hatte. Häufig musste er sich Querverweise zu seinem alten Weggefährten und Expertenkollegen Mehmet Scholl gefallen lassen. Dessen flapsige Art und freches Mundwerk sorgten für mehr Unterhaltung und mehr Identifikation, als die oft langatmigen Analysen Kahns. Die Erwartungen waren enorm. Als Spieler immer am Limit, zeitweise grenzwertig und stets spektakulär. Geliebt und gehasst im gleichen Maße. Viele Zuschauer erwarteten nun eine ähnliche Vorstellung als TV-Experte. Während Scholl im Fernsehen ähnlich auftreten konnte, wie zuvor bereits als Spieler, musste sich Kahn erst neu erfinden. Weg vom Titan, von Aggression und Bananenschalen. „Leute haben sich schon beschwert, ich hätte mich so verändert und wäre seit Karriereende zahm geworden. Da frage ich mich, was sie erwarten? Dass ich mit gestrecktem Bein über den Moderationstisch fliege oder Katrin Müller-Hohenstein in den Hals beiße?“, gab Kahn im Interview mit 11Freunde zum Protokoll. Genau so, scheint es, erwartete der Fernsehzuschauer den Ex-Profi auch außerhalb des Fußballplatzes.

Zusammenarbeit vorerst beendet: Kathrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn, hier bei einem Auftritt während der EM 2012. © MV_tut_gut / flickr.com
Während Kahn noch nach seiner Rolle suchte, versuchte es Kathrin Müller-Hohenstein mit einer Charme-Offensive vor dem Herrn, die zeitweise skurrile Auswüchse annahm. Nicht umsonst ist seit langem vom Ehepaar KMH & Kahn die Rede. Die Torwartlegende ergab sich mehr oder minder freiwillig den verzweifelten Anbiederungsversuchen seiner Moderationskollegin – wirkte dabei häufig aber auch deplatziert und zunehmend irritiert. Dass Müller-Hohenstein dann noch regelmäßig vom Sender für ihre Auftritte gelobt wurde und mit Fernsehpreisen ausgezeichnet wurde, war für den Zuschauer zuhause auf der Couch ebenso rätstelhaft, wie das Schauspiel der beiden Moderatoren während der Berichterstattung. Mehr als einmal wirkte das Zusammespiel holprig und erzwungen. Durchaus häufiger vorkommende ironische Anmerkungen Kahns verpufften in Müller-Hohensteins planlos-emotionaler Moderationseuphorie. Besser gefielen da Kahns Auftritte während der Champions-League, wo vor allem die Konfrontationen mit Jürgen Klopp eine Chance zur Profilierung darstellten.
Neustart zur WM 2014
Auf die harte Kritik zur Berichterstattung auf Usedom während der EM 2012 hat das ZDF nun auch reagiert. Zur Weltmeisterschaft in Brasilien bekam Kahn mit Oli Welke einen neuen, alten Partner an die Seite gestellt. Eingespielt aus der Champions League, agieren beide nun auch seit knapp zwei Wochen gemeinsam an der Copacabana. Und das mit beachtlichem Erfolg. Über die sportliche Kompetenz von Oliver Welke kann man streiten, seine Fähigkeiten als Moderator sind aber über jeden Zweifel erhaben. Davon profitiert nicht nur der Zuschauer, sondern insbesondere auch Oliver Kahn. Dieser scheint bei der WM 2014 endlich angekommen zu sein und mutiert zur Entdeckung dieser Weltmeisterschaft. Welkes lockere Art färbt auf Kahn ab. Heraus kommt dabei ein Oliver Kahn, der nicht mehr detailbesessen ausufernde Analysen präsentiert, wobei ihm aus Zeitgründen regelmäßig das Wort abgeschnitten wird. Selbstironisch und entspannt präsentiert er sich an der Seite von Welke, der ihm nicht zwanghaft das „Olli“ aufdrängt und auch keine Pseudo-Verbindung inklusive Schmusekurs herzustellen versucht. Die Torwartlegende beweist ein feines Gespür für Humor, nimmt sich selbst nicht all zu Ernst und trifft meist den richtigen Ton zu verschiedenen Themen und Welke versteht es meist – im Gegensatz zu Müller-Hohenstein – Kahns Anmerkungen gelungen aufzugreifen. So ertappte ich mich selbst bereits nach wenigen Minuten während des WM-Eröffnungsspiel mit folgenden Worten: „Der Kahn brennt hier heute ein wahres Feuerwerk ab.“
Während KMH sich nun lässig plaudernd und im Wasser planschend beim DFB-Team vor Ort die Hörner abstößt, glänzen Kahn und Welke durch ihre ansprechende Moderation der WM-Spiele. Dem ZDF ist zu dieser Entscheidung nach bisherigem Verlauf nur zu gratulieren. Während in den vergangenen Jahren häufig der Quervergleich zur ARD (u.a. aufgrund des Erfolgsduos Delling-Netzer) verloren ging, präsentieren sich nun beide Öffentlich-Rechtlichen mit zwei gut abgestimmten Moderatoren-Teams. Sowohl das Duo Opdenhövel-Scholl, als auch Welke-Kahn wissen bisher zu überzeugen. Wenn das ZDF nun noch Béla Réthy… aber das lassen wir an dieser Stelle besser.